"Ohne Konflikte gibt es keinen Fortschritt – sie liefern uns die nötige Energie für entsprechende Initiativen"
Interview mit Prof. Dr. Alexander Redlich zur berufsbegleitenden Weiterbildung "Wege aus dem Konflikt"
Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Alexander Redlich
Universität Hamburg Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie
Frage: Drohender Arbeitsplatzverlust durch Wirtschaftskrisen, Konkurrenz unter Kollegen, Termindruck, hohes Innovationstempo – das Klima in den Betrieben und Behörden hat sich verändert. Gibt es auch mehr Konflikte in Betrieben? Wie sehen diese Konflikte aus?
Prof. Dr. Alexander Redlich: Wir wissen, dass in Organisationen alle "Sorten" von Konflikten an der Tagesordnung sind. Das geht von relativen harmlosen Spannungen zwischen zwei Personen über arbeitsrechtlich relevante Auseinandersetzungen zwischen Vorgesetzten und Angestellten bis hin zu schrecklichem Mobbing und kostspieligen Grabenkämpfen zwischen ganzen Unternehmensbereichen. Ob Zahl, Art oder Intensität der Konflikte zugenommen hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Dazu fehlen verlässliche Daten aus Langzeitstudien.
Mein Eindruck aus der Beratung von Organisationen ist, dass eine zunehmende "Flüchtigkeit" von Führungskräften – hohe Mobilität, geringe Erreichbarkeit und Vermeidung von Verantwortung – oft eine Führungslücke produziert, die der Eskalation von Konflikten zu viel Raum gibt.
Frage: Wie gehen die Betriebe mit den Konflikten um?
Prof. Dr. Alexander Redlich: Sehr unterschiedlich. Jede Organisation hat – jenseits der etablierten arbeitsrechtlichen Konfliktlösungsverfahren – ihre eigene Konfliktkultur; d. h. unausgesprochene kollektive Leitlinien ‚entscheiden’ gewissermaßen, ob Konflikte gewohnheitsmäßig unter den Teppich gekehrt oder systematisch angegangen werden.
Fortgeschrittene Organisationen haben ein etabliertes Konfliktlösungssystem, das durch eine Reihe von Merkmalen gekennzeichnet ist: Es gibt entsprechende Trainings für Führungskräfte; explizite und implizite Regeln erleichtern das frühe Ansprechen von Spannungen durch die Mitarbeiter; Konfliktlotsen, Ombudsleute oder Konfliktbeauftragte stehen zur Verfügung und können informell angesprochen werden; in schweren Fällen wird professionelle Konfliktmoderation einkauft usw. Insgesamt gesehen könnten und sollten die meisten Organisationen in diesem Bereich allerdings mehr machen.
Der wirtschaftliche Schaden durch die Folgen unausgetragener Konflikte wie unerledigte Arbeiten, gegenseitige Behinderungen, gezielte Fehlinformationen, Zuständigkeitsgerangel, Verschleppungsstrategien, gegenseitiges Störfeuer, Krankheiten, Fehlzeiten usw. dürfte erheblich sein.
Frage: Es gibt doch traditionelle Konfliktlösungsverfahren (z. B. über den Betriebs- bzw. Personalrat). Reichen die nicht aus?
Prof. Dr. Alexander Redlich: Traditionelle Konfliktlösungsverfahren sind eine stabile Grundlage für jedes Konfliktlösungssystem, und wir können alle froh sein, dass es sie gibt. Allerdings sind sie als einziger Weg aus dem Konflikt oft zu schwerfällig. Vor allem kommen sie zu spät zur Geltung und gehen dann zu schnell über in ein rechtlich ausgetragenes Verfahren.
Das liegt daran, dass diese Verfahren zu hochschwellig sind und die Betroffenen zu lange warten, bis sie sie in Anspruch nehmen. Da ist das Kind dann meist schon in den Brunnen gefallen. Daher sollten sie ergänzt werden durch einfachere Zugänge zu kompetenter Konfliktbehandlung.
Frage: In dem weiterbildenden Studium "Wege aus dem Konflikt“ bilden Sie in zwei Jahren (inkl. Praxisphase und Coaching) "betriebliche Konfliktberater" aus. Was können "diese", was z. B. Mediatoren nicht können?
Prof. Dr. Alexander Redlich: Es handelt sich um innerbetriebliche Berater. Außen stehende Mediatoren kommen ja erst zum Einsatz, wenn sie von beiden Konfliktparteien mit einem Vermittlungsauftrag betraut werden. Unsere Konfliktberater stehen daher direkter zur Verfügung. Sie können Konfliktbetroffene früh ansprechen und ihnen ein absolut vertrauliches Beratungs- und Vermittlungsangebot "auf Probe" anbieten.
Sie können auch nur eine Seite beraten und bei einer eigenständigen Konfliktlösung coachen. Dies fördert – am Rande gesagt – allgemeine Konfliktlösungskompetenzen an der Basis und gliedert nicht immer mehr Kommunikationskompetenz aus dem beruflichen Alltag heraus.
Frage: Wie kann man sich die Arbeit der "betrieblichen Konfliktberater" konkret vorstellen? Wie schaffen Sie es beteiligten Parteien aus einer festgefahrenen Situation herauszubekommen?
Prof. Dr. Alexander Redlich: Sie haben ein bewährtes Verfahren, das damit beginnt, die Konflikthintergründe sorgfältig zu erkunden, d. h. Vorwürfe, Ansprüche, Wünsche und Gefühle der Streitenden werden geklärt. Damit finden sie die Quellen eines Konfliktes heraus und nehmen zugleich auch die emotionalen Spannungen – Aggressionen, Ärger, Trauer, Neid usw. – aufs Korn.
Auf dieser Grundlage leiten unser Konfliktberater dann die Beteiligten zu einer Sammlung von Lösungsideen an, die dann ausgehandelt werden. Schließlich entwickeln sie eine klare Vereinbarung zur Umsetzung der Lösung. Dabei arbeiten sie so vertraulich, dass andere Personen im Unternehmen davon nichts bemerken.
Frage: Wie bringen die Konfliktberater den eine festgefahrene Situation in Bewegung?
Prof. Dr. Alexander Redlich: Dazu haben sie einen Methodenbaukasten, in den wir mal kurz hinein schauen können: Zunächst mag es ganz einfach wirken: Indem man den Konfliktparteien bloß zuhört, bringt man sie auch dazu sich gegenseitig zuzuhören. Es kommen dann allerdings besondere Fähigkeiten ins Spiel, um die streitenden Personen bei der Stange zu halten und sie dazu zu bringen, einander besser zu verstehen.
In schwierigen Fällen setzen sie auf eine Art Pendeldiplomatie, indem sie mit den Parteien einzeln arbeiten und sie auf die Konfrontation vorbereiten. Auch die durch den Konflikt lahm gelegten Ressourcen der Kontrahenten werden aktiviert. Eine typische Intervention besteht z. B. in solchen Fragen: "Wann und wo arbeiten Sie konstruktiv zusammen oder haben kooperiert? Wie sieht das genau aus? Unter welche Bedingungen? Wie können sie das auf die schwierigen Situationen übertragen?" Dann können sie die Kontrahenten gewissermaßen "verführen", neue Lösungsideen zu produzieren.
Typische Frage: "Gesetzt den Fall, Sie hätten unbegrenzte Mittel zur Verfügung: Was könnten Sie alles tun, um den Konflikt aus der Welt zu schaffen?" Dabei vergessen die Beteiligten gelegentlich zeitweise sogar ihre Querelen. Auch das Aushandeln der Lösung steuern sie durch geschickte Fragen, z. B. "Wie können Sie das wichtigste Interesse der anderen Seite erfüllen?“ "Wo können Sie sich noch bewegen?" oder setzen weitere Techniken ein.
So können sie die Kontrahenten z. B. auch zu einer Zukunftsprognose anleiten, bei der ihnen klar wird, was passieren wird, wenn ihre Konfliktbemühungen scheitern.
Frage: Am weiterbildenden Studium "Wege aus dem Konflikt“ kann nur teilnehmen, wer aus einem Betrieb kommt, der bereits ein Konfliktlösungsmodell eingeführt hat. Was empfehlen Sie einem interessierten Betrieb, wenn er nach Ihrem Modell gern einige seiner Mitarbeiter ausbilden möchte, er aber noch kein Konfliktlösungsmodell eingeführt hat?
Prof. Dr. Alexander Redlich: Ein einzelner Konfliktberater kann in seinem Unternehmen wenig bewirken, wenn seine Rolle nicht durch ein betriebliches Konfliktlösungssystem unterstützt wird. Daher bevorzugen wir es, wenn eine Organisation mehrere Mitarbeiter in die Weiterbildung entsendet. Denn die können leichter so ein System aufbauen als ein einzelner. Wenn die Organisation zudem auch noch ein Konfliktlösungssystem aufweist, ist das natürlich super.
Allerdings haben das die wenigsten Organisationen. Daher nehmen wir selbstverständlich auch Mitarbeiter auf, deren Organisation vorhaben, so ein System aufzubauen. Darin unterstützen wir diese Organisationen gern.
Frage: Kehrt mit den "innerbetriebliche Konfliktberatern" ewiger Friede in den Betrieben ein?
Prof. Dr. Alexander Redlich: Natürlich nicht. Eine Welt ohne Konflikte entspricht gar nicht unserem Ideal. Denn Konflikte sind im Grunde produktiv. Sie entstehen aus dem ständigen Innovationsbedarf. Nur Konflikte machen es möglich, den steten Wandel in der Welt proaktiv zu bewältigen. Konflikte aktivieren uns, geben uns Hinweise darauf, wo wir Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung finden und liefern uns die nötige Energie für entsprechende Initiativen. Ohne Konflikte gibt es keinen Fortschritt.
Konflikte wirken sich erst schädlich aus, wenn die Konfliktparteien nicht mehr um sachliche Aspekte wie die richtige Strategie, um Zuständigkeiten oder Ressourcen streiten, sondern sich persönlich herabsetzen und gegenseitig angreifen: Denn erst dann eskalieren sie. Die Aufgabe unserer betrieblichen Konfliktberater besteht daher darin, die Eskalation von Konflikten zu verhindern. Sie vermitteln dabei auch, dass man Konflikte begrüßen kann und wie man etwas aus ihnen macht.
Das Interview führte Jörg Gensel (Arbeitsstelle für wissenschaftliche Weiterbildung)