Die Grenzen des Erträglichen
Pluralität innerhalb der Konfessionen in der Frühen Neuzeit
Angestoßen von den Historikern Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling wurde seit den 1970er Jahren mit dem Forschungskonzept der ‘Konfessionalisierung’ eines der wirkmächtigsten Paradigmen der Frühneuzeitforschung etabliert. Trotz unbestreitbarer Vorzüge hat die Theorie der gemeinsamen Entwicklung von Kirche, Staat und Gesellschaft innerhalb der voneinander getrennt betrachteten Konfessionen jedoch auch den Blick auf wichtige Erkenntnisse verstellt:
Katholizismus, Luthertum und Reformiertentum waren keineswegs monolithisch, sondern bildeten jeweils innere Unterschiede in Lehre und Praxis aus. So festigte das Ringen der römischen Kirche mit dem Molinismus beziehungsweise Jansenismus beispielsweise den zwar katholischen, aber letztlich auch von reformierten Elementen geprägten Gallikanismus in Frankreich. Von noch stärkeren Ausdifferenzierungen waren die Protestantismen geprägt: Abgesehen von den auch in ihrem Selbstverständnis außerhalb der Konfessionen stehenden Dissentern entstanden in diesem Zusammenhang auch zahlreiche Strömungen, die sich bewusst innerhalb des Luthertums (Flacianer, Philippisten, Hallenser, Herrnhuter u. a.) beziehungsweise des Reformiertentum (Remonstranten, Labadisten, Puritaner u. a.) verorteten.
Diese binnenkonfessionelle Pluralität wird im Rahmen der Ringvorlesung anhand ausgewählter Konstellationen und Quellen vorgestellt und in interdisziplinärer Perspektive analysiert, wobei nicht nur dogmatische, spirituelle, mediale und materielle Polymorphien innerhalb der Konfessionen sichtbar, sondern auch die – höchst unterschiedlich definierten – Grenzen des Erträglichen offengelegt werden.
Ergänzend sollen darüber hinaus exemplarisch auch bereits vor der Reformation bestehende Reformbewegungen (Waldenser, Lollarden, Hussiten) sowie andere Religionen (Islam, Judentum) auf ihr Verhältnis zu den Konfessionen untersucht werden.
mittwochs 18:15 – 19:45 Uhr, Hauptgebäude, Edmund-Siemers-Allee 1, Hörsaal J
Eine religio zwei Bekenntnisse? Zum Bedeutungspotential der Religio Statue am Wittenberger Rathaus
Elena Tolstichin, Graduiertenkolleg "Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit", Universität Hamburg
Von "Canonichesse" und "Fratelli di Hernuud". Der italienische Adel auf der Suche nach Orientierung in der deutschen Ordenswelt
Oliver Plate, Graduiertenkolleg "Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit", Universität Hamburg
Abenteuer der Konfessionen. Hans Stadens Warhaftig Historia von 1557 revisited
Jun.-Prof. Dr. Lina Herz, Institut für Germanistik, Universität Hamburg
Prof. Dr. Martin Schieder, Institut für Kunstgeschichte, Universität Leipzig
Avi Liberman, Graduiertenkolleg "Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit", Universität Hamburg
Konkurrenz, Kooperation, Kaffeeklatsch. Eine ungewöhnliche hallesch herrnhutische Wohngemeinschaft in Kairo, 1753
Daniel Haas, Graduiertenkolleg "Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit", Universität Hamburg
20.12.2023
Die Wahrnehmung der Lollarden durch die englischen Reformatoren
Prof . a.D. Dr. Jürgen Sarnowsky, Historisches Seminar: Arbeitsbereich Mittelalter, Universität Hamburg
Inter- und Intratextualität in altlitauischen lutherischen Postillen
apl. Prof. Dr. Jolanta Gelumbeckaitė, Institut für Empirische Sprachwissenschaft, Goethe Universität Frankfurt am Main
The Limits of Solitude. Early Modern Norms and Suspicions regarding Withdrawal from the World
Prof. Dr. Mette Birkedal Bruun, Department of Church History, Københavns Universitet
Einheit in der Vielfalt? Der englische Nonkonformismus nach 1660
Prof. Dr. Susanne Rupp, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Hamburg
31.01.2024
Der christologische Streit um Krypsis und Kenosis als binnenkonfessionelles Phänomen im Luthertum
Martin Kindermann, Graduiertenkolleg "Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit", Universität Hamburg
Oliver Plate / Elena Tolstichin, beide Graduiertenkolleg "Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit", Universität Hamburg